Ein Gespräch über Kunst mit Susanne Besch
Das Einsiedlerkloster Santa Caterina auf der Insel Elba ist zu einem wichtigen Ort des Schaffens für Dich geworden.
Wann bist Du zum ersten Mal dorthin gekommen?
Und welches waren Deine ersten Eindrücke?
Es war das Jahr 1996. Eine Gruppe englischer Archäologen hatte gerade Reste einer mittelalterlichen Ansiedlung in unmittelbarer Nähe oberhalb des Klosters gefunden. Die Idee, dass Generationen um Generationen schon seit mehr als dreitausend Jahren an dieser Landschaft herumkratzen und ihre Existenzen darauf gründeten, beeindruckte mich vom ersten Augenblick an. In den verlassenen Industrieanlagen des 19. und 20. Jahrhunderts, die bis an die Strände reichten, wo sie, von Wind und Wasser zersetzt, in sich zusammenstürzten, warteten dann auch reichlich Eisenfundstücke auf mich
Was mich sofort für das Kloster eingenommen hat, war seine sorgsam bewahrte Einfachheit. In einiger Entfernung zum beleuchteten Dorf, ohne elektrischen Strom, geben Sonne, Mond und der traumhafte Sternenhimmel den Tagen Struktur auch wenn auf dem Berg der Schirokko-Nebel alles immer wieder in ein entrücktes Licht taucht. Kerzenleuchter werden wirklich gebraucht und sind keine Dekoration.
Es ist sehr beeindruckend, all die Nuancen vom Hell bis zum Dunkel wahrzunehmen. Nach meinen ersten Eindrücken gefragt, muss ich unbedingt auch die herumziehenden Ziegenherden erwähnen. Es waren imposante Tiere, groß, braun und schwarz und ganz zottig. Sie begegneten mir überall auf dem Berg. Mit ihnen ging ich eine suchende, herumstreifende Gemeinschaft ein.
Du hattest zuvor als Keramikerin gearbeitet, hast aber auch Videos gemacht. Im Kloster Santa Caterina gab es keinen Brennofen,
keinen Ton und vor allem keinen Strom.
Wie lange hast Du gebraucht, um zu verstehen, dass Du mit neuem Material arbeiten müsstest? Und mit welchem?
Meine ersten Arbeiten im Kloster waren aus mitgebrachtem Ton. Kleine Ziegenherden natürlich, wie sie auf der Fotografie zu sehen sind. Bis heute werden sie, ungebrannt und zerbrechlich, von unserer Freundin Ines Aliverti gehütet.
Auch meine experimentellen Videos habe ich Anfang der 90er Jahre mit beweglichen Tonfiguren gemacht. Ein Film wurde beim Frauenfilmfestival in Wien gezeigt. Das nächtelange Arbeiten mit Schnittprogrammen am Rechner hat mich von der Videokunst wieder abgebracht. Ich arbeite gern mit den Händen.
Für die Eisenfundstücke, die mein Interesse geweckt hatten, brauchte ich geeignetes Material, mit dem ich sie kombinieren konnte, das ihnen Rahmen und Standflächen gibt. Gips auszuprobieren war recht naheliegend. In der Keramik wird Gips als Hilfsmittel verwendet. Ich habe die Sache umgedreht, den Gips als das formgebende Material eingesetzt und den Ton als Hilfsmittel genutzt.
Also Gips und Eisen. Elba ist die Eisen-Insel, auch vom Kloster aus sieht man die alten Minen,
die die Etrusker schon ausgebeutet haben. Der Monte Serra, der Berg, auf dem das Kloster liegt,
ist aus Kalkstein und in der Nähe wurde jahrhundertelang Kalk gebrannt.
Dein Material kommt also direkt aus dem Territorium, in dem Du arbeitest.
Dass das Material der Umgebung entspricht, ist ein wesentlicher Punkt. Ich verwende gern, was vorhanden ist, was die Erde mehr oder weniger freiwillig hergibt, was in genügender Menge zur Verfügung steht und was preiswert ist.
Gips und Eisen passen nicht zusammen, jedenfalls nicht als Baumaterialien. In Zusammenhang mit Luftfeuchtigkeit reagieren sie miteinander, was deutlich sichtbare rostige Ausblühungen und Risse hervorruft. Genau diese fortwährende Wirkung aufeinander ist es aber, die mir für meine Arbeiten wichtig ist. Ursprünglich geschmiedet, gegossen oder gewalzt, zeigen die Eisenfundstücke aus den stillgelegten Minen Verwandlungsprozesse. Alle meine Objekte sind so gesehen auch Materialstudien.
Ich habe das Vergängliche zum Prinzip erhoben. Meine Arbeiten stehen vor allem für das unaufhaltsame Werden und Vergehen.
Dabei geht es aber schon auch um Ordnung?
Ordnung strukturiert und dient der Überschaubarkeit und der Erkenntnis. Sie hat auch einen besonderen ästhetischen Wert.
Die Botaniker bringen durch ihr Ordnungsprinzip alle Pflanzen in einen Zusammenhang, Chemiker haben ihr Periodensystem der Elemente, Musiker ordnen den Klang durch Rhythmus. Allen Kräften freien Lauf zu lassen, bringt ein fürchterliches Durcheinander, in dem wir uns nicht zurechtfinden.
Erst das Ordnen lässt uns Zusammenhänge erkennen und erfüllt Bedürfnisse nach Erkenntnis und auch nach Schönheit.
Worum geht es Dir in diesen Arbeiten aus Elba?
Die Zusammenhänge, die sich mir immer wieder erschließen und die mich im Einvernehmen mit der vorgefundenen Welt leben lassen, möchte ich aufzeigen und sichtbar machen. Die ungeheuerlichen Leistungen, die Menschen vollbringen, die Zivilisationen und Kulturen aufeinanderschichten und wieder zerstören – sie sind wie Naturgewalten, die immer wieder Neues hervorbringen und im gleichen Zuge Altes verändern oder vernichten.
Ich verwende bewusst einfache Materialien und bearbeite die Oberflächen nur bis zu dem Punkt, den die Form und die Aussage der Arbeit erfordern. Oberflächen mehr als nötig zu bearbeiten ergibt für mich keinen Sinn. Ich möchte, dass meine Arbeiten eine innere Kraft ausstrahlen.
Ich will das Zusammenspiel der Kräfte in ihrer zerstörerischen und zugleich ordnenden Art zeigen und belasse die raue Schönheit des gegenwärtigen Moments. Wenn jemand das erkennt und sich dazu verhält, ist das für mich ein besonderer Augenblick.
Du hast einmal gesagt, das, was dieser Katalog versammelt, ist das Ergebnis einer langen Forschungsarbeit.
Die Künstlerin als Entdeckerin?
Mir gefällt der Vergleich. Wenn es um Erkenntnis geht, um das Verstehen und Vergewissern der vielgestaltigen Prozesse um uns herum, gibt es verschiedene Wege. In der Kunst geht es nicht um Evidenzen. Es sind eher Spiegelungen der Wirklichkeit, die immer etwas gebrochen sind.
Wie hast Du Anregungen der Wissenschaftler, die in Santa Caterina arbeiten, aufgenommen? Welche Werke sind da entstanden?
Der kleine botanische Garten um das Kloster herum und die erstaunliche Vielfalt der einheimischen Pflanzen, die durch das Ordnungsprinzip der Botaniker einen evolutionären und familiären Zusammenhang erkennen lassen, haben mich zum Anlegen eines Eisen-Herbariums und eines Eisen-Rosengartens angeregt. Die Ausgrabungen der Archäologen am Monte Serra veranlassten mich, den Grundriss einer alten Ansiedlung darzustellen. Die Legende der Heiligen Caterina ließ mich das weiße Gewand entfalten. Die Präsenz der herumziehenden Ziegenherden und der seltenen Vogelarten, und die Entdeckung von Termiten in den Holzbalken, haben mich ebenso in ihren Bann gezogen wie die nachgesagten Wunder der Heiligen, die örtlichen religiösen Rituale, die Spuren der Etrusker und die der vielen Generationen von Minenarbeitern.
Was bedeutet Dir Sprache?
Mit meinen jährlichen Aufenthalten im Kloster bin ich Teil der außergewöhnlichen Gemeinschaft geworden, die sich um den Ort und um deine Person herum gebildet hat. Die vielfältigen Begegnungen mit den internationalen Wissenschaftlern und Künstlern und die vielsprachigen Diskurse über deren Erfahrungen und ihre bemerkenswerten Sichtweisen haben meine Projekte beeinflusst. Mich in anderen Sprachen als dem Deutschen auszudrücken, fällt mir schwer. Ich ringe selbst um deutsche Worte für das, was ich beschreiben möchte. Immerhin kenne ich diese Worte in ihrer vielschichtigen Bedeutung und ihrem kulturellem Zusammenhang und dennoch trifft das Gesagte selten den Kern und allzu oft ergeben sich Missverständnisse. Wie unmöglich erscheint es mir da, etwas von Tragweite in einer anderen Sprache beizutragen! Ganz anders geht es mir mit dem Material, das ich finde. Es zu gebrauchen und mit einfachsten Mitteln zu bearbeiten und zu gestalten, liegt mir viel näher als meine Muttersprache. Analogien herstellen zu können und Bilder zu entwerfen, ist für mich eine klare und deutliche Sprache, mit der ich mich am Diskurs beteiligen kann.
Was ist für Dich ein künstlerischer Prozess?
Der künstlerische Prozess hat eine lange Vorlaufzeit. Es braucht Erfahrungen mit Material, das Erlernen eines Handwerks, eines Instrumentes. Es liegen viele Entscheidungen, Irrtümer und Erfolge auf dem Weg. Welches Mittel bewirkt welchen Ausdruck? Das ist die entscheidende Frage. Es kommt dem Erlernen einer Klang-, Bewegungs- oder Formensprache gleich.Ich habe mich für eine Formensprache entschieden, die mir und meinen Fähigkeiten am besten entspricht. Der eigentliche Entstehungsprozess einer Arbeit vollzieht sich außerhalb des Bereiches der Worte. Wenn gefragt wird, was ich da mache, kann ich es nicht sagen. Das Tun findet in dem unhörbaren Frequenzbereich statt, der in den sichtbaren übergeht, wie bestimmte Gerüche am Bewusstsein vorbei auf direktem Wege Empfindungen hervorrufen können. So lasse ich meine Themen Gestalt annehmen und erst im Nachhinein, manches Mal erst viel später, finde ich sie überzeugend oder verwerfe sie wieder.
Du arbeitest mit Materialen, die sich verändern und die ganz klar keine lange Lebenszeit haben. Was bleibt von der Kunst?
Soll überhaupt etwas bleiben?
Ton ist auf der ganzen Erde zu finden. Er ist verwittertes Gestein mit verschiedenen Beimengungen, je nach seinem Fundort. Das Besondere ist seine Formbarkeit. Gebrannt wird Ton im Grunde genommen wieder zu Gestein.Fällt ein Gefäß zu Boden, geht es zu Bruch. Es hat damit einen weiteren Schritt der Verwandlung erfahren. Die Scherben können wieder zusammengeklebt werden. Eine Kunstform besteht darin, die Brüche deutlich sichtbar zu lassen oder sogar zu vergolden, um die Verwandlung zu betonen. Gips und Eisen sind auch nicht sehr haltbar. Sie könnten mit speziellen Tinkturen, die die Poren verschließen und der Oberfläche wasserabweisende Eigenschaften verleihen, haltbarer gemacht werden. Ich finde aber den Gedanken, dass alles nur zu seiner Zeit existiert, bevor es durch Umwandlung wieder in den großen Kreislauf zurückfindet, sehr befreiend. Ich meine ausschließlich natürliche, folgerichtige Abläufe und ganz bestimmt nicht gewaltsame Zerstörung und mutwillige Verschwendung. Der Erhalt kultureller Kostbarkeiten und die Bewahrung zivilisatorischer Errungenschaften – da braucht es alle nur erdenklichen Anstrengungen. Mühsam erkämpfte demokratische Formen sind ebenso fragil wie die von mir verwendeten Materialien. Aber im Gegensatz zu meinen Objekten benötigen sie aufmerksame Rekonstruktion und Bewahrung. Alles Materielle unterliegt einem stetigen Verwandlungsprozess, den aufhalten zu wollen letztendlich vergebens ist.
Einige Deiner Arbeiten wurden 2021 im Museo delle Culture in Lugano gezeigt, im Rahmen einer Ausstellung,
die der italienische Kunstanthropologe Francesco Paolo Campione eingerichtet hat.
Was bedeutet es für dich, dass Deine Objekte in einem internationalen Museum gezeigt werden?
Mich erfüllt es mit einem gewissen Stolz, dass Francesco Paolo Campione meine Arbeiten ins Museum geholt hat. Als ein Beispiel für künstlerische Auseinandersetzung an dem außerordentlichen Ort, der das Kloster in Santa Caterina ist. Ob die Objekte so viel Kraft haben und dem großen musealen Rahmen gewachsen sind, wird sich zeigen. Ich vertraue hier auf Campiones Intuition und auf den Lauf der Dinge.
Was hast Du weiter vor in Santa Caterina?
Ich möchte mich weiterhin mehrere Wochen im Jahr dort aufhalten und die Projekte bis zu einem Punkt bringen, an dem ich spüre, dass es genug ist. Solange mein Interesse wach ist und mir Themen zufliegen, werde ich mich mit ihnen befassen. In welcher Form, das wird sich ergeben Schreiben, Zeichnen, Gießen, Spachteln, Sägen, Bohren – all das ist wahrscheinlich.
Die Fragen stellte Hans Georg Berger im Oktober 2021